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EPR-Systeme: Inspiration aus Europa

Joachim Quoden ist Geschäftsführer von EXPRA, einer Allianz von Produzentenverantwortungsorganisationen, welche die EPR-Systeme in vielen Ländern koordinieren und steuern. Er kennt sich hervorragend mit den Ausprägungsformen von europäischen EPR-Systemen aus. In seinem Interview beschreibt er die aktuellen Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft von Verpackungen in Europa und gibt wertvolle Empfehlungen für den Weg zum schweizerischen EPR-System.



Interview mit Joachim Quoden: Inspiration aus dem Ausland

EPR Systeme für das Recycling von Verpackungen gibt es seit vielen Jahren in den EU-Mitgliedstaaten. Welche Trends und Herausforderungen gibt es dazu aktuell?

Eine Vielzahl von Herausforderungen stehen auf der Agenda der europäischen EPR-Systeme. Regierungen, Inverkehrbringer und Verpackungsproduzenten müssen sich auf die Kreislaufwirtschaft für alle Verpackungen einstellen. Im Jahr 2030 müssen, gemäss den neuen EU Richtlinien, alle auf den Markt gesetzten Verpackungsmaterialien wiederverwendbar oder stofflich verwertbar sein. Mitgliedstaaten sind verpflichtet bis 2020 beziehungsweise 2021 die neuen EPR-Anforderungen auf nationaler Ebene umzusetzen. Insbesondere müssen neue Recyclingziele bis 2025 und bis 2030 eingehalten werden und die EPR-Systeme sollen in der nationalen Umsetzung die kompletten Kosten der Sammlung, der Trennung, der Verwertung und der Kommunikation decken. Alle EPR-Systeme sollten die Eco-Modulation (Variation der Gebühren nach ökologischen Kriterien) einführen und in der ganzen EU müssen die Recyclinginfrastrukturen drastisch ausgedehnt werden. Zusammengefasst ist die grosse Herausforderung der EU, sowie der Schweiz, alle Arten von Verpackungen überall, zu Hause, im Büro und im öffentlichen Raum, zu sammeln, diese in sortenreine Fraktionen mit moderner Technologie zu trennen und zu einer hochwertigen Qualität zu verwerten.

Wie könnte der Start hin zu einem EPR-System, in einem Land aussehen, das bislang kein alle Verpackungen umfassendes System hat? Welche Länder könnten der Schweiz als Vorbild zur Orientierung dienen?

Der wichtigste Schritt hin zu einem EPR-System ist die Abmachung einer Branchenvereinbarung mit den wichtigsten Wirtschaftsakteuren im Land. Es ist wesentlich, dass die Detailhändler, die Inverkehrbringer und die Verpackungsproduzenten sich gemeinsam für den Aufbau der Kreislaufwirtschaft und des EPR-Systems einigen. Es ist auch von Vorteil, wenn weitere Stakeholder mitmachen, wie zum Beispiel die nationale Regierung, lokale Gemeinden oder Städte. Gemeinsam können die Mitglieder der Vereinbarung die Schritte und die Strukturen des EPRs definieren und die Ziele und die Zeiträume festlegen, um erhöhte Sammel- und Recyclingquoten zu erreichen. Die Inverkehrbringer und ihre Stakeholder gründen eine oder mehrere PROs [Anmerkung: Producer Responsibility Organisations], welche die Kreislaufwirtschaft vertretend finanziert und organisiert. Bei mehreren PROs ist eine zentrale, neutrale Überwachungsstelle wesentlich, um die Transparenz des Wettbewerbes zu gewährleisten. Ein besonderes Beispiel für die Schweiz ist das von der Industrie gegründete EPR-System in Belgien. Eine zentrale PRO hat es geschafft, ein einheitliches effizientes System in den verschiedenen Sprachregionen umzusetzen.

In unserem Projekt in der Schweiz streben wir das Erschaffen eines EPR-Systems für den Aufbau einer umweltfreundlichen Kreislaufwirtschaft für Verpackungen an. Warum würden Sie sagen, ist dies ein effektives Instrument und zukunftsfähig?

Der Kern eines funktionierenden EPR-Systems ist eine gute Zusammenarbeit von allen Stakeholdern entlang der Wertschöpfungskette von Verpackungen mit der PRO als zentrales Glied und als Koordinator des Systems. Die Kreislaufwirtschaft für Verpackungen, sowie für alle Produkte, kann nicht von einem einzigen Akteur alleine initiiert oder diktiert werden. Die Kollaboration von allen Akteuren ist unvermeidlich. Ein EPR ermöglicht eine starke Kooperation der Stakeholder, welche die gemeinsame Vision einer umweltfreundlichen Kreislaufwirtschaft anstreben.


Fast in jedem Land gibt es EPR-Systeme, um die Kreislaufwirtschaft voranzutreiben. Warum sollten diese Unternehmen in der Schweiz eine Ausnahme machen und nicht aktiv werden?

Unser Ziel ist eine freiwillige Branchenvereinbarung. Wie werden dabei «Trittbrettfahrer» verhindert?

Bei einem freiwilligen System ist die Regierung wenig beteiligt und Trittbrettfahrer weichen auf kreative Weise den Gebühren aus. Um Trittbrettfahrer zu vermeiden, braucht es verbindliche Ziele und einen gesetzlichen Vollzug, welcher das System verbindlich macht. Eine staatliche Regulierung wäre zum Beispiel eine Verpackungssteuer einzurichten, von welcher die Mitglieder des EPR-Systems befreit wären, falls sie die finanziellen Gebühren der PRO bezahlen. So wie das beispielsweise in Norwegen gut funktioniert.

Welche konkreten Schritte können Sie der Schweiz für den Weg hin zu einer flächendeckenden Branchenvereinbarung empfehlen?

Ich bin kein Experte der Schweizer Wirtschaft und kann schlecht Empfehlungen ohne Kenntnis der gesetzlichen und wirtschaftlichen Lage abgeben. Es ist jedoch wichtig eine Risikoanalyse durchzuführen. Welche Folgen hätte eine Tatenlosigkeit, falls keine Branchenvereinbarung oder keine Initiative für die Schliessung der Kreisläufe zu Stande kommt. Die Alternative zur Branchenvereinbarung ist oft eine staatliche Verpackungssteuer. Das steuerliche Einkommen wird jedoch selten in effizienten Recyclinginfrastrukturen eingesetzt, sondern geht im gesamten öffentlichen Budget verloren. Manche Staaten verbieten die Anwendung von gewissen Materialien. Der Politik fehlen jedoch die Expertise und die wissenschaftlichen Grundlagen bei der Entscheidung, ob ein Verpackungsmaterial gut oder schlecht ist, was zu ineffizienten Verboten führen kann.

Viele multinationale Firmen sind auch auf dem Schweizer Markt aktiv. Diese Unternehmen wollen sich ab sofort weltweit, nicht nur in Europa oder in Kanada, für die Sammlung und das Recycling aller ihrer Verpackungen kümmern. Fast in jedem Land gibt es EPR-Systeme, um die Kreislaufwirtschaft voranzutreiben. Warum sollten diese Unternehmen in der Schweiz eine Ausnahme machen und nicht aktiv werden? Ich bin der Überzeugung, dass die Schweiz über das Know-How, die Kapazität und die Mittel für ein erfolgreiches und effizientes EPR-System verfügt.

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